Schritt eins, Schritt zwei und dann einfach so weiter

Die Aalener Brüder Matthias und Marcus Baur starten am 29. August beim Transalpine-Run über 270 Kilometer

Von Ansgar König

Aalen – „Wie man einen Ultralauf angeht?“, lacht Marcus Baur. „Erst Schritt eins, dann Schritt zwei und dann immer so weiter.“ Der 27-jährige Student der Fertigungstechnik und sein 21-jähriger Bruder Matthias, Student der Geoinformatik, sind in der Aalener Läuferszene keine Unbekannten. Aber sie sind auch zwei der außergewöhnlichsten Läufer in der Region. Sie haben sich den Ultraläufen verschrieben, kurz gesagt alles, was länger als ein Marathon ist.

Ein heißer Sommernachmittag in einem Aalener Straßencafé. Matthias und Marcus sehen ganz entspannt aus. So, als kämen sie gerade aus dem Freibad und möchten einfach ihren Capuccino genießen. „Vor vier Jahren hat alles angefangen“, erzählt Marcus, der ältere der beiden Brüder. „Ich habe damals in einem Fitnesstudio eine Läufergruppe auf den Aalener Stadtlauf vorbereitet – und habe einfach meinen Bruder mitgenommen.“ Überraschung: Der damals 17-Jährige entpuppte sich als wahres Lauftalent und war auch ohne Training der Schnellste in der Gruppe. Kurz darauf folgte das Wettkampfdebüt beim Aalener Stadtlauf, ein Halbmarathon in Ulm und der Nikolauslauf in Tübingen. Die Baur-Brüder wurden zu passionierten Läufern.

2012 dann der erste Marathon in Frankfurt, beide blieben knapp über drei Stunden. „Und dann ging’s los mit den Ultras“, sagt Marcus ganz locker, als wär’s nichts Besonderes. Grund: die Suche nach längeren Distanzen, aber auch nach mehr Gelände, denn die Straßenläufe wurden den beiden bald zu langweilig. Nach ersten Versuchen auf der Ostalb ging’s hinaus in die weite Welt: Matthias gewann den Ultra-Trail Lamer Winkel mit 53 Kilometern durch den Bayerischen Wald, so etwas wie die inoffizielle DM der Ultra-Trailer.

Es ist Zeit, die Begriffe „Ultra-Trail“ oder „Trailrunning“ etwas näher zu erklären. Den Traillauf erklärt das Online-Lexikon Wikipedia so: „Vom Englischen trail gleich Pfad, Weg; im Deutschen auch als Waldlauf oder Landschaftslauf bekannt, ist eine Form des Langstreckenlaufs, die abseits asphaltierter Straßen stattfindet“. Das trifft die Sachlage nur unzureichend. Trailrunner sind die Freeclimber der Läuferszene. „Was mich reizt, ist die Herausforderung“, sagt Matthias Baur, „nur Schuhe und Kleidung, keine Hilfsmittel – es ist schwer zu beschreiben, aber man nimmt die Natur ziemlich intensiv wahr“.

Und auch Marcus’ Augen beginnen zu glänzen: „Die Frankfurter Skyline, das hat schon was, aber am Nebelhorn zu laufen, das ist schlichtweg toll. Urkunden und Medaillen sind lediglich Beigabe, der Lauf selbst ist der eigentliche Lohn.“ Ein Beispiel: „Um 30 Kilometer in den Bergen zu durchwandern, benötigt man, sagen wir mal zwei Tage. Wir machen die in fünf bis sechs Stunden.“

Die Trailrunner sind eine eingeschworene Familie, jeder hilft jedem. „Straßenläufer kucken viel auf die Uhr und nehmen alles ein bisschen ernster. Am Nebelhorn zum Beispiel haben wir zehn Minuten pro Kilometer gebraucht, das entlockt einem Straßenläufer eher ein Schmunzeln.“ Über Stock und Stein und immer bergauf? Da muss man fit sein. Momentan konzentrieren sich Matthias und Marcus Baur auf den Transalpine-Trail von Oberstdorf nach Sulden in Südtirol, ein Rennen über acht Etappen. Matthias läuft pro Woche gut 150 Kilometer und sitzt zusätzlich noch 200 Kilometer auf dem Rad. „So komme ich in den Semesterferien auf 25 Trainingsstunden die Woche.“ Marcus fügt an: „Auch während des Studiums: So um die 100 pro Woche sollten’s schon sein.“ Dabei bietet die Ostalb nicht die besten Voraussetzungen. „Anstiege mit 300, 400 Höhenmetern, wie sie in den Alpen gefordert sind, gibt’s hier einfach nicht.“ Zum Vergleich: Die Ostalb-Skipiste hat keine 100. Die längste Bergaufstrecke in der Gegend führt mit 270 Höhenmetern von Oberkochen zum Volkmarsberg.

„Wir können die Belastung im Training simulieren“, fasst Marcus Baur das Trainingskonzept zusammen: 50 Kilometer am ersten Tag, 30 am zweiten, 20 am dritten. Am vierten ist dann Pause, damit der Körper lernt, auch mit wenig Ruhe auszukommen“, erklärt er, „dann mache ich einen kurzen, knackigen Lauf über zehn Kilometer – und tags darauf gehe die 20 schon viel lockerer“. Sein Bruder Matthias betrachtet es von einer ganz anderen Seite: „Pro Jahr ruiniere ich zehn bis zwölf Paar Schuhe.“ Gut, dass beide von verschiedenen Sportartikelherstellern gesponsert werden. Denn der Aufwand ist mit 4000 bis 5000 Euro nicht gering. „Auch der Verein hilft, wo er kann“, fügt Rainer Strehle an, der die beiden bei der LG Rems-Welland betreut.

Unvorbereitet wagt sich niemand auf den Transalpin-Ultra-Trail, der in acht Etappen über 270 Kilometer und 16 000 Höhenmetern Anstieg von Bayern südwärts nach Italien führt. „Einer der härtesten Etappenläufe der Welt“, zitiert Matthias eine Fachzeitschrift. Gelaufen wird im Team, da sehen sich die Baur-Brüder im Vorteil. Jeder kennt des anderen Schwächen, Matthias ist besser am Berg, Marcus in den flacheren Teilen. Die beiden Teammitglieder müssen innerhalb einer Minute die Ziellinie überqueren, sonst droht die Disqualifikation. „Acht Tage, vier Länder, zwei Läufer, ein Traum!“, lautet das Motto des Laufs. Schließlich hat Marcus Baur extra eine Hochzeit um einen Monat verschoben, um in Oberstdorf starten zu können.

Sicherheit wird groß geschrieben, denn den Aalener Läufern ist noch das Schicksal des Ellwanger Läufers Hans Pöschl in Erinnerung, der 2008 beim Zugspitzlauf ums Leben kam. Ein Rucksack mit dem Notwendigsten ist Pflicht: Erste-Hilfe-Set, lange Hose, 1,5 Liter Getränke, Regenjacke, Handschuhe, Mütze. „An manchen Stellen liegt eben noch Schnee, das Wetter kann blitzartig umschlagen“, weiß Marcus Baur. An den zwei bis drei Verpflegungsstationen pro Etappe gibt’s Kommandos, wie sich die Läufer zu kleiden und zu verhalten haben.

„Trailrunning ist nicht immer running“, schmunzelt Marcus Baur. Oft ist Rennen schlichtweg nicht mehr möglich. „Ein selektives Gelände“, sagt der Fachmann, „kein Durchkommen“ der Laie. „Es gibt auch Stellen, da kann’s richtig gefährlich werden, da kommen selbst Mountainbiker nicht mehr durch.“ Vergleiche mit der Tour de France drängen sich auf. Aber Klettern ist nicht die einzige Herausforderung. Die längste Etappe hat 45 Kilometer, die kürzeste sechs. „Das ist dann so was wie der Ruhetag“, lacht Matthias Baur, „ein Bergsprint, es geht von 800 Meter rauf auf 2000“. Sagt’s, und schlürft von seinem Capuccino, als sei so ein Anstieg nicht der Rede wert. Aber wir erinnern uns: Erst Schritt eins, dann Schritt zwei, und dann einfach immer so weiter.

Weitere Infos zum Verein gibt’s unter www.lg-rems-welland.de, Weitere Infos zum Lauf unter www.transalpine-run.de und zu den Baur-Brüdern: http://marcus-matthias-baur-online.blogspot.de/p/rennkalender.html

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